Zwischenbilanz

Das ist jetzt bitter nötig. Wir hängen den Tag am Strand rum, hier ist mittlerweile Freibad. Alle Kiddies der Gegend inclusive der Schulklasse machen einen auf Müssiggang.
Wir machen nix, nicht mal Müssiggang, gucken, lesen, pennen, Cola saufen
Wir haben 7079Km auf dem Tacho, verdammt viel erlebt, die Festplatte bald voll. Ich werde gleich mal mit nem Döschen defragmentieren. Wir müssen jetzt ein wenig Hygiene betreiben. Alles langsamer, haben noch zwei Wochen. Die Erlebnisgier muss runtergefahren werden. Habe 1,5 Bücher gelesen, soll heissen, immer volles Programm. Aber so war es immer, schon in Indien, wo ich allmorgendlich um sechs kerzengrade im Bett stand. Hallo Indien, ich möchte dich entdecken. Will Alles aufsaugen, will meine Sinne strapazieren. Das ist jetzt zwanzig Jahre her, und ich habe das Gefühl, älter zu werden. Merkwürdig, hatte ich bisher noch nicht. Die Gier ist ungebrochen, aber der Körper schwächelt. Und wenn der Körper schwächelt ist die Gelassenheit dahin, die Freude am Miteinander verpufft. Dann möchte man zuhause dem Laubbläser-König von Heidhausen in aller Ruhe die Pest an den Balg wünschen. Wir halten also gestern an, an einer Argane, in deren Geäst sich zirka zwanzig Ziegen aufhalten, herrliches Fotomotiv, bestes Licht. Ich zücke das Gerät und da kommt er, der Hirte. Ich hab KEINEN Bock auf Bonjour, ca va?, auf Herzlichkeit, auf menschliche Nähe, ich will bloss doofe Ziegen im Baum fotografieren. Er lächelt freundlich, ich hasse ihn dafür, mache kein Foto und fahre weiter. In den Dörfern ersuche ich bei den Kindern um Kugelschreiber und Bonbons, lautstark und unverschämt. Biete mich als Fotoobjekt für 10 Dirham. Reisekoller. Und als sich dann heute vormittag UNSER Strand füllt, bin ich sehr skeptisch gegenüber meinem legendären Großmut. Aber es ist sehr nett mit all den Kleinen hier am Arsch der Welt. Wie immer mit den Kids hier.
Apropos 1,5 Bücher. Das erste hat mir Uli mitgegeben, verheissungsvoller Titel „Touareg“. Habe ich verschlungen. Danke Uli. (Übrigens auch für die CD). Da gehts um Tradition, Ehre, körperliche Grenzerfahrung, Respekt vor der Natur und Anpassung daran, Einsamkeit und die  Uneinlösbarkeit in der Konfrontation mit der Moderne. Tragisch. Und am Ende vernichtend. Sehr empfehlenswert.
Das zweite „……“ von einer Frau, Anfang fünfzig, die ein Jahr durch die Welt reist, jeden Monat in einer anderen Stadt lebt. Unbedingt lesenswert. Eine Abhandlung über das Leben, die grossen Fragen, die Selbstbestimmung, über heraufbeschwörte Zufälle durch Einlassung ins Fremde. Muss bei jeder zweiten Seite heulen, der prallen Fülle von Erkenntnissen und Leben wegen. Selbst Dennis Scheck hat es nicht in die Tonne gekloppt.

Die Schulklasse zieht am Landy vorbei, Alle verabschieden sich freundlich und wir machen ein Strandspaziergang. Kein Schwein mehr hier, hinten noch ein paar, die Muscheln sammeln.(Keine Schweine, die gibts hier eh nicht). Und einmal rein in den Atlantik. Körperhygiene betreiben.
Die Sonne verabschiedet sich unspektakulär, und jetzt ist das Lamm dran. Dazu gebratene Nudeln und KEIN Gemüse !!!. Geil, Proteine und Kohlenhydrate und Roter. Absolute Stille, abgesehen vom Brandungsrauschen, sehr, sehr viele Sterne. Ein paar Köter laben sich an den Knochen.
Apropos, dass die Menschen hier ALLE freundlich und gelassen sind, sagte ich bereits, aber dass es auch die Wauwaus sind, ist noch nicht mitgeteilt. Noch kein Bellen gehört, nur in Chefchauen nachts Rudelbellen, die waren bestimmt bekifft, wie Alle dort oben im Riff. Kein nerviges Frauchen-Hundchen, unglaublich. Freundliche Tierchen. Ich adoptiere einen.
Es ist sehr bewölkt am Morgen, gut, denn wir haben zu packen nach zwei herrlichen Nächten hier.(Kann mich am den Psychoterror nicht mehr erinnern). Also schön kühl ist es, und absolut einsam, bis auf den autitischen Esel nebenan. Dann lockert es auf und es ist klare Luft, nix diesig. Hübsche weisse Wellenkämme in der Brandung umschmeichelt vom zarten Morgendlicht. Wir überlegen, noch nen Tag dranzuhängen, aber kaum noch Wasser und Fluppen, das geht nicht gut mit Papi. Bin ich eigentlich völlig bescheuert? Ebbe im Fluppenfach? Das Fieber ist schuld! Was ich bisher verdrängt hatte, rückt nun in den Focus. Wie kommen wir eigentlich hier wieder weg ? Eine stramme Steigung, die bei Anfahrt ein rutschiges Gefälle war, muss genommen werden. Zwei Kehren inclusive. Alles auf Straussenei grossen Kieseln, wohlgebettet in sandiger Textur. Eines nach dem Anderen. Noch ein Kaffee, ein Flüppchen, kurze Lagebesprechung mit Landy, Er empfiehlt, Allrad mit Untersetzung im ersten und Saft auf die Stiefel, bei Missfallen Geld zurück, oder Differentiale sperren. OK, Chef ! Tschüss borrico und perro, und wie geheissen bis zur ersten Kehre. Ein wenig vor und zurück (was eindeutig einfacher zu sein scheint) und dann volle Lotte rauf, zweite Kehre mit links, obwohl rechtsrum. Die Strausseneier ballern durch die Gegend. Grandios. Landy, du bist ne geile Sau. Ich werde dich nie mehr abgeben, nur vererben. Selbst, wenn mir meine ehemaligen Partner mit schmierigen Anwälten den Hahn abdrehen. Du bleibst ein Biesemann. Wort drauf. Und kriegst bei Heiner Beckmann ein Vollbad. Und Massage und mundgepresstes Arganenöl.
Wir fahren an der grandiosen Küste weiter nach Norden, und landen in einem Nest, wo ich mit den Kiddies und Lena vor sechs Jahren mal war. Jetzt ein Dreckloch, traumhafte Bucht, blaue Fischerboote, eine Häuserzeile im Halbrund, der perfekte Ort. Jetzt Müll. Und ne Fabrik, Ami-Marokko-joint-venture zur besseren Vermarktung der Kiemenatmer. Wir wissen beide nicht warum, aber nehmen hier bei Ahmed Dorade vom Grill. Köstlich. Weiter Richtung Essaouira, wollen vielleicht in Sidi Kaouki bleiben, war damals der Traum. Beim ersten Mal, ich allein, zwei Kamele, ein Marabout, und Strand und zwar fett, mit Niemandem. Beim zweiten Mal, ich mit der Sippe, sechs Kamele, Tee-Tränke, Surfer-Villa-Kunterbunt. Noch nett. Surfer am Strand. Vorzeige-Touareg am Marabout. Jetzt Kotzen. Fertig. Abhaken, bin kaum ausgestigen. Frage ein paar Jungs, was die Scheisse hier soll, und bekomme eine höchst philosophische Antwort im Sinne Bob Dylans… The times, they ´re changing. Ob denn in Deutschland Alles beim Alten bleibt.
Mein Fazit : Ich werden nie mehr an ehemalige Traumorte fahren, die ich vor Langem geniessen durfte. Nie mehr. Das war schon auf Phi-phi Island so, innerhalb von sechs Jahren alles geopfert. Oder Phuket. Oder Borbeck-Mitte. Ist ja auch nicht schwer zu erklären. Die wollen Alle ihre Kohle machen, und mittlerweile fahren eben auch Alle überall hin und haben Ansprüche. Pommes und Sonne. Ich will Thana Lot auf Bali nicht mehr besuchen, Klaus nicht mehr aus Saigon abholen, werde den Mekong meiden, gibts in Costa-Rica jetzt Dosen-Ananas und Mc-Doof in Jombang? Vielleicht noch mal Cuba, bevor die Amis einen Puff daraus machen. Die Enttäuschung wäre zu groß. Früher war Alles besser, ach du scheisse, ich ertappe mich bei beknackten Sprüchen, aber ich bin ja hier allein (Steffi schläft), darf ich ruhig mal sagen, und berauschen am eigen produzierten Schwachsinn, wie in der analen Phase. Das tut gut. In Klitmöller wird es auch in 400 Jahren noch genau so aussehen, weil da niemand hin will, ausser diese Surfer, die gehen eh nicht essen oder saufen, die fressen nur Energieriegel in ihren WOMOs und laufen den ganzen Tag in Neopren rum. Ausserdem ist da eh Scheisswetter.
Also ganz schnell weiter nach Essaouira. Frau Hilde und Herr Peter haben da einen Platz empfohlen, wild campen ist hier nicht. Und wahrlich, ich sage Euch, so was hab ich noch nicht gesehen als Campingplatz. Ein Franzmannpärchen hat ihn vor 4 Jahren eröffnet, esprit nature, macht seinem Namen alle Ehre. So unendlich viel Liebe im Detail, so grün, so wunderschön bepflanzt, marokkanische, hübsche Laternen überall, ein Laubengang mit Astdach, bald berankt, führt zum Scheißhaus, eine kathartische Vorbereitung auf die körperliche Reinigung. Schilfgras wiegt im Wind, Olivenbäume geben der Vogelschar einen Raum. Ein stilecht, blau gefliesster Pool inmitten von kleinen Berberzelten. Die Steinmauer bewuchert mit gelben, violetten und roten Blüten. Unbeschreiblich. Das Scheisshaus grosszügig und SAUBER, Heisse Duschen mit Wasser !!!!! Nicht üblich hier. Wir sind mit einem anderen WOMO die einzigen Gäste. Und es ist sehr kühl, windstill, keine Fliegen, keine Mücken. Perfekt als Basislager. Der Franzmann ist zurückhaltend und nett, gibt mir nen Kabel, um in seiner Werkstatt seinen Internetzugang zu nutzen. Der hat keinen Bock mehr in Europa zu leben, für Urlaub wäre es phantastisch, meint er. Und hat hier mit seiner deutlich jüngeren Frau sein Paradies geschaffen. Gut gemacht, maitre.
Es ist doch verrückt, wie eingebunden in Volks-Fleiss-Mentalitäten wir sind. Als wäre es ein Dogma, halten wir an einem acht bis neun Stunden Tag fest. Zählen die Jahre bis zu Rente, um dann mit Apoplex die letzten 30 Jahre im High-tech-Siechtum zu verbringen. Immer schön fleissig, immer viel Tatas auf die Seite legen. Und das Gejammmere über Steuerlast ertragen. Musste wieder 200.000 € Steuern zahlen, sagt der Onkel Doktor und verschluckt sich am Hummerschwanz. Vielleicht noch ein Dritt-Auto, absetzbar. Wir haben in unserer Praxis 12-14 Ops am Tag weggekloppt, völlig beknackt, wofür? Genau , um die eingefahrene Kohle fett unterzubringen. Sich als Wunschtraum ein Hamsterrad zu bauen, und es nicht einmal zu bemerken. Warum nicht nen Gang runter, und so lange was machen, wie man will und kann. Natürlich gibt das System das nicht her. Und nem Briefzusteller kann ich damit nicht kommen, der zeigt mir nen Vogel, obwohl er mittlerweile satte achtfuffzich einfährt. Zynisches Land, in dem sich die Trittbrettfahrer, die, die die Kohle der Leistungserbringer verwalten, eine goldene Nase verdienen. Die schmierigen Bänker, und Anlageberater, diese Maschmeiers, die den Mob verarschen und sicht nicht dafür schämen, im Gegenteil! Diese Middelhoffs, Schmierlappen wie die Schlepper in Marrakech.
Alle Freiberufler und Selbsständigen haben es doch in ihrer eigenen Hand, sogar ihren Job irgendwo zu machen. Und es ist auch nicht ehrenrührig, mal was Neues auszuprobieren. Das Schönste ist doch ganzheitlich zu leben, heisst, nicht die strikte Trennung von Beruf und Lebensmittelpunkt. Ich empfehle sehr zur Lektüre „………“, von Uli bekommen.(Kanste den Leuten bitte mal den Titel nennen, dann haste die Chance, auch mals was im blog zu schreiben). Da hört der Schneider auf zu schneidern, wenn genug Kohle zum Leben da ist, und geht sich erstmal einen ballern. Das schont auch sehr die Ressourcen. Wenn weniger Kohle da ist, wird auch wenig Schwachsinn konsumiert und es bleiben einige Rohstoffe noch schön gemütlich liegen für kommende Generationen. Was ist denn da los auf unseren Strassen, auf den Weltmeeren und oben ? Da wird nur überflüssig produzierte Scheisse hin und hergekarrt, Scheisse, die keiner braucht, aber für nen Appel und nen Ei verhökert wird. Und in der Wertschöpfungskette jegliche Vernunft und Moral ausser Kraft setzen. Wir sollen das bitte alles kaufen, damit alles im Fluß bleibt. Sagen unsere Voll(ks)waisen. Klar, stimmt ja auch, systemimmanente Erfordernisse. Never change a running system, doch, wenn es in die falsche Richtung runnt. Also ich brauche : was zu essen, am besten aus Heidhausen vom Hof, Diesel, Bier (Stauder aus ökologischen Gründen), Gitarrensaiten einmal pro Jahr, Holz zum heizen von Heiner, einen Internetzugang, Strom, Wasser, Rotwein aus Bad Dürkheim. Was rege ich mich auf, Ach Gott, jeder ist seines Glückes Schmied, nicht jeder hat ein schmückes Glied.

Übrigens :

Der Wind blies heut aus Süden toll
wo ich Etüden üben soll,
nicht üben ich Etüden mag,
ich hab heut meinen müden Tag.

Hat der geniale Eugen Roth mal gezaubert. Ich widme es dem windigen Essaouira.

Und noch einen von Malmsheimer :

„Wollen hoffen, dass der Wind im Rücken nicht unser eigener ist“

Wir hören voneinander.

 

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