Na ja, arschkalt bei herrlich blauem Himmel nehme ich den Morgenkaffee und Fluppe auf unserem kleinen Balkon. Wir haben gut geschlafen. Heute steht das Denkmal Heinrich des Seefahrers an und natürlich das Hieronimus-Kloster mit den einzigartigen Kreuzgängen. Wir fahren mit dem Bus und ahnen fürchterliches. Ganze Ladungen voller sight-seeer tun es uns gleich, dazu der Lissabon Halb-Marathon. Milliarden Pixel werden belichtet mit beknackten selfies. Das Kloster thront nicht weit entfernt hinter dem grossen Fontänen-Brunnen, wir dösen ein wenig in der Sonne um uns dann ins Innere aufzumachen. Eine Schlange wie beim Freibier am Aschermittwoch. Warum um alle Welt sind seit Jahren alle Touris genau an unserem Wunschort ? Warum sehen alle Weiber gleich aus mit Gummi-Sandalen, Spaghettiträger-Tops und Expressionisten Wickelrock oder Knickerbocker-Schrumpfmuffen, warum können die Chinesen nicht in Heidelberg bleiben, warum müssen auch die unsäglichen Russen sich als Trip-Imperialisten outen, warum ? Weil sie mir auf den Sack gehen wollen, der liebe Gott eine Rechnúng mit mir offen hat. Und warum müssen Alle anschliessend auch ein Häppchen in der Alfama nehmen wollen ? Diese bezaubernde Alstadt unterhalb des Kastells? Mein Lissabon ! Nun gut, meine schlechte Laune hebt sich nach 2 Rosé in der Mittagshitze und wir versuchen uns in Gelassenheit. Geniessen den grandiosen Ausblick vom Kastell ( 8,50 ) fahren ein wenig Electrico, und bereiten uns mit Dosenbier und Rotem in unserer Bude auf den Fadoabend vor. Nix, Steffi schläft stante pede ein, ich gucke Portugal TV, noch grauenhafter als bei uns. Erstaunlich, womit die halbe Welt ihr Geld verdient, manchmal bin ich doch stolz auf meinen einschläfernden Job. Ich bereite mich mit Kartenmaterial und Reiseführer auf Marokko vor, unterstützt von synapsenschmeichelndem Roten aus dem Supermarkt. Also, morgen früh auf nach Tarifa, dort bei herrlichstem Wetter ein Tag verbringen und dann ne Fähre nehmen….
Erhebend das Gefühl mit unserem Landy über die Brücke des 25. April die Autopista del sur zu nehmen. Der Lorenz ballert und bald gleiten wir einsam auf der Bahn. Alkohol geht immer, Kiffen auch, vermutlich auch Yoga oder Apnoetauchen um das limbische System zu besänftigen, zu verarschen, zu liebkosen. Aber auf alle Fälle auch, diese Piste zu fahren. Der Herzschlag verlangsamt sich, das Rektum dämmert. Hunderte Kilometer bietet sich eine Modelleisenbahn-Landschaft dem Vorbeifahrenden, unzählige Vierbeiner jedweder Provenienz hatte der Herr auserwählt, ein glückliches Leben zu führen und uns zu verzaubern. Wir sind allein auf dieser road-to-yourself, vor allem keine Reisebusse. Kein Platz für Müdigkeit, die oft zäh zu absolvierenden Meilen finden hier subcortikalen Einzug in die Wahrnehmung. So schippern wir bis kurz vor Faro in der Algarve, um dann nach Osten Richtung Sevilla umzuschwenken. Vorbei die Kontemplation. Jetzt wieder volle kraft auf allen Kanälen, also auch bereitwilliges Einkehren bei …. ??? DECATHLON, ich kann nicht mehr…. brauchen einen Tisch und Steffi ne warme sexy Schlafbuchse aus dem Hause Quechua! Bald kämpft der Landy gegen den grossen Bruder von Niklas, er keucht die Berge rauf, giert nach Diesel beim Berg-ab-fahren. Wir sichern noch unsere Dachzelt-Plane zusätzlich. Ein Wahnsinn von Wind bei blauem Himmel. Bis Tarifa nimmt diese Irre noch zu. Eigentlich wollen wir uns irgendwo ans Meer stellen, aber es ist bereits dunkel. Also finden wir einen Campingplatz, bekommen im Windschatten einer Mauer eine Chance. Zweimal Pizza por favore y una cerveza y una copa de vino tinto bringt die Dame aus DomRep.
Im Dachzelt ist Kirmes. Der Sturm bemächtigt sich plan(en)erfüllend. Steffi kämpft mit dem Krach und gibt schliesslich auf, zieht nach downstairs. Ich habe genügend Promille, zu trotzen.
Der Gaskocher versucht sich am Alutopf, Steffi´s Antlitz schreit nach Reha-Klinik. Schlechte Morgenlaune bei stürmischem Grau verleitet uns, sofort einzupacken und ne Fähre zu nehmen. Scheisse, Fähre sie denn. Tut sie des Sturmes wegen jedoch nicht. Aber Frau FRS schickt uns nach Algeciras, dort gibts nen grossen Pott, der uns mitnimmt.
Ich liebe Häfen, geil, Fernweh, der hier ist Komplett-Angebot, Container Terminal und Fähren und Alles. Und Einstiegsfehler wie immer. Jedesmal falle ich auf so ein Scheisse rein. Überall, aber meist nur einmal, vielleicht auch ein zweites Mal. Kommt also der unvermeidliche Muchel mit einer Selbstverständlichkeit, um irgendwelche Papiere für die Einreise und Auto-Zoll-Formalitäten zu erledigen. Nicht eine autoritätsspendende Schirmmütze ziert sein volles Haar, eher ein grenzdebiler Gesichtausdruck mit allerlei Aufforderungen nach Aushändigung von Papieren, auch eines in Form einer unquittierten 20 Euro Note. Befriedigt kritzelt er ein paar Daten auf 3-fach Formular. Am liebsten würde ich im in die Fresse hauen, aber estens bin ich Pfadfinder, habe zweitens keinen Arsch inner Hose, drittens ist er in einer Abzock-Truppe und letztlich wollen wir auf die Fähre. Ich bemitleide mich, möchte später mal gross und stark werden, denke an Bruce Willis.
Kein Schwein sagt uns, dass wir die Überfahrt in Gänze zu nutzen haben, in einer Schlange stehend mit auszufüllenden Einreiseformularen den begehrten Stempel in den Pass zu bekommen. Ein ! in Worten „ein“ Uniformierter fertigt die Komplette Einreiseschar ab. Ich stehe 75 Minuten gutgelaunt mit Gutgelaunten um einem Gutgelaunten meinen Pass gutgelaunt zu überreichen. Steffi kommt auf den letzten Meter dazu, hatte noch Schlaf nach zu holen.
Marokko. Juchuu. Die weitern Formalitäten auf marokkanischem Boden bleiben unerwähnt. Endlich hat der Landy adäquates unter seinen Hufen. Geil, Schlaglöcher, Schotter. Wir fahren über Tetouan nach Chefchauoen. Tolle Strecke, andere Welt. Endlich. Keine Russen,… noch !
Liebe Reisegruppe,
nachdem die deutsche Bundesbahn die Übermittlung meiner bahnbrechenden Erkenntnisse zum Thema Tourismus blockiert hat, will ich versuchen, die Gedanken, die mir bei 250 km/h und einem warmen Bier inmitten von Anzugchefträgern mit Handyflatrate so gekommen sind, zu reproduzieren.
Auch die Tatsache berücksichtigend, dass bleibende Erinnerungen immer an Emotionen gekoppelt sind, die wir natürlich nicht beliebig reaktivieren können, bleibt vor allem die mit dem Älterwerden selten aber günstigerweise verbundene Reifung des Menschen geeignet, Unterschiede zwischen dem Einst und dem Jetzt wahrzunehmen. Diese Unterschiede können durch die Entwicklung dessen, was wir betrachten, durch generelle gesellschaftliche Veränderungen aber auch durch die eigene verursacht sein. In der Summe aller fallen Enttäuschungen dann besonders ins Gewicht. Um dieser Frustration aus dem Wege zu gehen, empfiehlt es sich, unter allen Umständen eine Reifung der eigenen Persönlichkeit zu unterdrücken. Das ist ja wohl hinzukriegen! Ihr habt es doch gesehen: alle zur gleichen Zeit in der gleichen Kleidung am gleichen Ort, und – um der Oberflächlichkeit auch noch die letzte Ehre zu erweisen – mit einem Handfoto zum Beweis, dass man im Stream ist. Wie BAP es so schön spielte: „….die ham se noh un noh im Gleischschritt Richtung Schwachsinn jeschick“. Hätte ich nicht gedacht, dass das funktioniert, aber….
Bei treuen 25 Jahren am gleichen Urlaubsort ist das Risiko der in „Früher war …“-Aphorismen gipfelnden Ernüchterung schließlich auch nicht eliminiert, weil nachkommende Generationen Veränderungen mit sich bringen müssen. Deswegen winkt ja dann auch irgendwann der Zinnteller, als Trostpreis eben. Alternativ könnten natürlich auch die Reiseziele mitreifen. Und wie ich den nachfolgenden Schilderungen entnehme, seid Ihr ja schon selbst drauf gekommen. Es freut mich, dass Ihr als Walter Röhre und Michelle Mouton dem Marokkaner den Rallyesport näherbringen wollt, schließlich weiss ich ja bereits um Deine Fähigkeiten als „Botschafter des guten Geschmacks“, lieber Tobias!
Mit geht es gut, auch wenn obige Zeilen etwas anderes vermuten lassen. Ich hebe morgen endgültig ab, um zur Frühstückszeit auf Mallorca zu landen, einer Insel, die in der Altstadt Palmas bisher noch immer ihre Versprechen gehalten hat.
Euch wünsche ich viel fruchtbaren Austausch mit interessanten Menschen, viele Grüße auch von Conny,
Euer Holger
PS: Hab gehört, dass sich ein marokkanischer Nomadenstamm nach einem VW, dem Touareg, benannt hat. Könnt Ihr mal nachhören?